Giovanni di Lorenzo: Vom Leben und anderen Zumutungen

Giovanni di Lorenzo Vom Leben und anderen Zumutungen Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch

20 ausgewählte Gespräche des ZEIT-Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo mit Größen aus Politik, Wirtschaft und Showgeschäft 

Dass Giovanni di Lorenzo ein guter Redner ist, ist bekannt. Weil er auch noch ein kluger Zuhörer ist, kann er Gespräche bemerkenswert gut führen. In seinen Interviews für die Zeit wird dies immer wieder deutlich. Früher, so schreibt er im Vorwort seines neuen Buches, habe er gedacht, ein Gespräch sei dann gut, wenn der oder die Befragte sich öffnet. Wenn Fragen und Antworten sich aufeinander bezögen und am Ende das Gesagte eine Art gedrucktes Porträt ergebe. Heute, so führt er fort, sei ein Gespräch vor allem dann gut, wenn das Gegenüber keine Angst habe, etwas Falsches zu sagen. Diese Angst hätte in den letzten zehn Jahren zugenommen. Gesprächspartner:innen seien zurückhaltender geworden oder würden vor der Freigabe vorsichthalber Passagen streichen lassen.

Giovanni di Lorenzo und die „wunderbaren Begegnungen“

Giovanni di Lorenzo Vom Leben und anderen Zumutungen Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch

Aber es gibt sie noch, die „überraschenden und wunderbaren Begegnungen“, wie der Autor sie selbst nennt. 20 Stück, alle in den letzten zehn Jahren geführt, hat Di Lorenzo für dieses Buch ausgewählt. Er spricht mit Größen aus Politik, Showgeschäft und Wissenschaft. Mit dabei unter anderem Udo Jürgens, der sich – damals bereits 80-jährig – erstaunlich weich und nachdenklich zeigte. Oder Umberto Eco, der in seiner politischen Analyse die gewohnte Altersweisheit und seinen Humor mit einer seiner letztlich tödlichen Erkrankung geschuldeten spürbaren Portion Wut garniert. Oder Mäneskin, die sich in ihren Ausführungen über Toleranz und Outsidertum als kaum vermutete kluge und analytische Beobachter erweisen. 

Die Interviewten im Mittelpunkt

Die Gespräche mit Erdogan und Orban wiederum sind von einer Konzentration geprägt, die sich auch Jahre später noch und in gedruckter Form physisch nachempfinden lässt. Giovanni di Lorenzo gibt in diesen Gesprächen nicht den Ankläger, sondern gibt den Ausführungen Raum. Mit dem Effekt, dass Gesinnung viel deutlicher offenbar wird. Überhaupt gelingt es Di Lorenzo in all diesen Gesprächen, die Interviewten in den Mittelpunkt zu stellen. Er hakt nach, wenn Antworten eher Ausflüchte sind. Er bittet um Präzisierungen. Er nimmt Ideen auf und weiß, wann er das Gespräch führen oder führen lassen muss. Der gegenseitige Respekt ist dabei durchgängig erkennbar.

„Vom Leben und anderen Zumutungen“ ist ein vergnüglicher Spaß und gleichzeitig eine inspirierende Lektüre. Die unzähligen klugen Gedanken und rührenden Erzählungen der Menschen in diesem Buch sind zudem ein Abbild einer Gesellschaft im Wandel. Mit Größen, die sie prägen oder geprägt haben. Uneingeschränkte Leseempfehlung.

Giovanni di Lorenzo: „Vom Leben und anderen Zumutungen“, Hardcover, 352 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 978-3-462-00618-6, 25 Euro.

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